Gestresst schaue ich auf mein Handy – es ist 14 Uhr, drei Stunden Uni liegen noch vor mir. Danach will ich noch einkaufen, kochen und laufen gehen. Doch eigentlich würde ich am liebsten gar nichts davon machen, sondern den Abend so entspannt wie möglich auf der Couch verbringen. Aber ich kann nicht, mein Ehrgeiz treibt mich an. Ich schaffe es nicht abzuschalten. Und so sitze ich angespannt vor dem Laptop und versuche mich auf die Vorlesung zu konzentrieren, während meine Gedanken kreisen. Schaffe ich alle meine To-dos? Was muss ich noch einkaufen? Wo laufe ich heute lang? Schon kleinste To-dos stressen mich, ich komme nicht mehr zur Ruhe. Und dass, obwohl die Corona-Pandemie doch eigentlich so viel Fahrt aus meinem Leben genommen hat.
Bei mir ist seit dem ersten Semester an der Hochschule der gelegentliche Stress zu dauerhaftem Stress geworden – mit vielen körperlichen und psychischen Auswirkungen. Und damit bin ich nicht allein. Immer mehr Studien zeigen, dass junge Leute mehr und mehr mit enormem Stress zu kämpfen haben – auch viele Studierende. In einer Studie der AOK geben 53% der befragten Studierenden an, ein hohes Stresslevel zu empfinden. Damit fühlen sich Studierende im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen in Deutschland überdurchschnittlich gestresst.
Was ist Stress eigentlich und wie entsteht er? Stress hatten schon unsere Urahnen in Situationen, in denen sie auf wilde Tiere trafen und entweder kämpfen oder fliehen mussten. In solchen Situationen werden Stresshormone freigesetzt, die unseren Körper beeinflussen. Unser Blutdruck und Puls steigen und unsere Muskulatur wird vermehrt mit Blut versorgt. Unnötige Energieverbraucher wie unsere Verdauung werden abgeschaltet. Wir versetzen uns in Alarmbereitschaft, um die Gefahrensituation bestmöglich zu meistern. Ist die Gefahr vorüber, folgt die Entspannung.
Heute haben wir natürlich andere Stresssituationen, beispielsweise Prüfungen, Bewerbungsgespräche aber auch Termindruck.
Stress an sich ist nichts Schlechtes. Probleme entstehen erst, wenn auf Stress-situationen keine Entspannung folgt, wir also dauerhaft gestresst sind. Und das nimmt laut Forschern zu. Wir leben in einer schnelllebigen Gesellschaft, werden von Reizen geradezu überflutet und haben Zeit- und Leistungsdruck – auch im Studium schon. Dieser chronische Stress kann uns krank machen. Er kann zu Konzentrations-schwierigkeiten, innerer Anspannung und Unzufriedenheit führen und sogar Herzkrankheiten und Depressionen auslösen. Außerdem schwächt dauerhafter Stress unser Immunsystem. Auch ein Burnout ist eine häufige Folge von chronischem Stress.
Aber das Studium sollte doch unsere schönste Zeit im Leben werden? Freiheit, Entspannung und unzählige Möglichkeiten, bevor es dann ins anstrengende Arbeitsleben gehen sollte. Mit diesen Gedanken bin ich ins Studium gegangen, beeinflusst von den Erzählungen meiner Elterngeneration.
Was soll ich sagen – meine Erwartungen wurden so ziemlich enttäuscht. Statt einer überwiegend schönen Zeit, habe ich eine überwiegend stressige Zeit. Zum Teil bin ich daran selber schuld, das weiß ich. Ich bin jemand, der immer höher, schneller, weiter möchte. Ich werde von meinem Ehrgeiz angetrieben und möchte dauerhaft mein Bestes geben. Und das nicht nur im Studium, sondern auch sonst im Alltag. Sei es Sport, Ernährung, Haushalt, Schlaf oder soziale Kontakte – ich gebe hundert Prozent und noch mehr.
Warum unterscheidet sich meine Vorstellung vom Studium so von der Realität? Bin ich selber das Problem? Ich glaube nicht, zumindest nicht nur.
Im Studium sehe ich vor allem einen Auslöser: die Bologna-Reform. Verabschiedet im Jahr 1999, um das Studieren in Europa zu vereinheitlichen und vergleichbar zu machen und außerdem die Zahl an Studienabbrechern und Langzeit-Studierenden zu vermindern.
Statt eines Diplomabschlusses nach meist neun Semestern gibt es nun einen Bachelor- gefolgt von einem Masterabschluss. Der Bachelorabschluss nach sechs oder sieben Semestern soll allerdings auch schon ein berufsqualifizierender Abschluss sein und alle dafür benötigten Inhalte enthalten. Dadurch soll ein Masterabschluss nicht zwingend nötig sein. So können wir schneller in die Berufswelt einsteigen und die Wirtschaft profitiert von uns.
Die Reform führte zu einem stark verkürzten Studium ohne viel Tiefe. Außerdem ist das System verschult und Studierende haben enormem Druck. Dies führt zu zunehmenden psychischen Problemen im Studium – auch Stress.
Wie umgehen mit Stress? Die Antwort muss jeder selbst für sich herausfinden. Dinge, die mir persönlich helfen, sind Sport, ein Buch lesen oder Freunde treffen. Auch das Trend-Thema Achtsamkeit kann helfen. Was ich im Umgang mit meinem Stress gerade lerne, ist auch mal Nein zu sagen, wenn es mir zu stressig wird. Nein zu To-dos, Nein zu Verabredungen, Nein zu meinem Ehrgeiz, Nein zu digitalen Medien und vor allem auch mal Nein zur Uni. Denn ich muss nicht alle Aufgaben perfekt erledigen. Wenn es mir zu viel wird, dann muss halt auch mal etwas liegen bleiben oder eine Vorlesung ausfallen. Auch wenn mich dann häufig mein schlechtes Gewissen plagt oder ich Lehrende verärgere. Ich habe mittlerweile für mich entschieden, dass ich mein Studium gut machen will – aber nicht um jeden Preis. Denn meine Gesundheit ist mir wichtiger. Was bringt mir ein tolles Abschlusszeugnis, wenn meine Gesundheit dafür im Eimer ist? Rein gar nichts. Von nun an steht meine Gesundheit an erste Stelle – koste es, was es wolle.